Das schwedische Start-up Candela Speed Boat hat das erste elektrisch angetriebene Tragflächenboot entwickelt – Motor und Batterie stammen von Torqeedo. Es könnte der Beginn einer neuen Ära sein.
Über dem Stockholm-Archipel liegt oft dicker Nebel. Kleine Wellen schwappen an menschenleere Kieselstrände. Es ist dann ganz still. Fast wie vor 10.000 Jahren, als die letzten Eiszeit-Gletscher verschwanden und sich die etwa 30.000 Inseln aus dem Meer erhoben. In letzter Zeit hatten Segler und Angler in der Region immer öfter eine Begegnung der außergewöhnlichen Art: Ein stromlinienförmiges Objekt ist im Archipel unterwegs. Es rast mit hoher Geschwindigkeit über das Wasser – und ist doch ganz leise. Eine Luftspiegelung? Ein militärisches Forschungsprojekt? Ein Ufo?
Auf der Insel Lidingö im Stockholm-Archipel befindet sich das Hauptquartier des Start-ups Candela Speed Boat. Dort haben Ingenieure, Programmierer und Mathematiker in den vergangenen Jahren das erste marktreife elektrisch angetriebene Tragflächenboot entwickelt. Das Candela Seven schwebt auf zwei Unterwasser-Tragflügeln, Foils genannt, über das Wasser und erreicht dank dem Torqeedo Deep Blue 50i einen Top-Speed von 55 km/h. Bei einer Geschwindigkeit von 37 km/h hat das Boot mit einer Batterieladung eine Reichweite von 92 Kilometern.
„Das Candela Seven kombiniert minimalen Energieverbrauch mit maximaler Performance“, sagt Torqeedo-Geschäftsführer Dr. Ralf Plieninger. Plieninger verantwortet alle technologischen Bereiche bei Torqeedo und ist von Candelas Erfolg begeistert: „Das elektrische Tragflächenboot könnte die Elektromobilität auf dem Wasser für immer verändern.“
Wo alles begann
Die Geschichte von Candela Speed Boat beginnt natürlich im Stockholm-Archipel. Der Gründer und heutige CEO Gustav Hasselskog fuhr auf seinem Boot mit Benzinmotor von seinem Sommerhaus zu einem Insel-Supermarkt, weil seine Kinder Eis essen wollten. Erst fand er den Eispreis von 2,50 Euro unerhört teuer, aber dann rechnete Hasselskog nach, dass die Hin- und Rückfahrt mit dem Boot etwa 40 Euro Benzinkosten verursacht hatten. „Esst so viel Eis ihr wollt“, sagte der Ingenieur. Auf der Rückfahrt mit dem Boot begann Hasselskog über Tesla-Autos nachzudenken und ob man moderne Elektromotoren nicht mit Tragflächen aus dem Segelsport kombinieren könnte. Die Idee ließ ihn nicht mehr los. Aber der Weg von einer Idee zu einem marktfähigen Produkt ist weit.
Das weiß niemand besser als das Torqeedo-Team. Der Weltmarktführer für Elektromobilität auf dem Wasser wurde aus ganz ähnlichen Motiven gegründet. „Und auch wenn wir mittlerweile stark gewachsen sind“, sagt Plieninger, „haben wir den Start-up Spirit behalten. Wir lösen einfach gerne Probleme und gehen neue Wege.“
Candela Speed Boat ist ein klassisches Start-up. 2017 hatte die Firma drei Angestellte, mittlerweile sind es 35. Viele der Mitarbeiter haben zuvor bei Tech-Konzernen wie Eurocopter, Saab Gripen oder Volvo gearbeitet. „Wir sind ein innovationsgetriebenes Unternehmen und brauchen Know-how aus ganz unterschiedlichen Bereichen“, sagt Alexander Sifvert, der bei Candela für Sales & Marketing zuständig ist: „Kohlefaser, Hydrodynamik, Hochspannungsstrom, Mechanik und nicht zu vergessen – Mathematik.“ Das Candela Team hatte sich vorgenommen, eine komplizierte Formel zu knacken: Ein 7,5 Meter langes Boot verbraucht 12- bis 18-mal mehr Treibstoff als ein PKW. Deshalb ist der Umstieg von Benzin- auf Elektromotoren ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Weil aber gleichzeitig Batterien oft noch eine geringere Energiedichte als Benzin haben, weisen die meisten Elektroboote eine limitierte Reichweite und Performance auf. Wenn man die Elektromobilität auf dem Wasser ausbauen will, so der Ansatz, muss die Energiefrage gelöst werden.
Maschinen flüstern im Hintergrund
Das Candela Seven ist 7,7 Meter lang und bietet Platz für sechs Personen. Der Deep Blue Elektromotor beschleunigt das Boot laut- und stufenlos, auf den ersten Metern fühlt man sich noch wie in einem sehr schönen, aber doch normalen Boot. Bei 27 km/h erhebt sich das Boot automatisch auf die Tragflächen – und alles verändert sich. „Der Energieverbrauch reduziert sich im Tragflächenmodus um 80 Prozent – so erreichen wir eine Reichweite wie mit einem Benziner“, sagt Hasselskog. Gleichzeitig läuft das Boot extrem ruhig auf den Tragflächen, es gibt kein Stampfen und keine Geräusche – und weil auch der Torqeedo Deep Blue Elektromotor der leiseste Antrieb sein Klasse ist, schwebt man tatsächlich über das Wasser. Es gibt kein anderes Wort für diese Erfahrung.
Bei einer Geschwindigkeit von 27 km/h erhebt sich das Candela Seven auf den Unterwasserflügeln aus dem Wasser.
Das Design des Candela Seven beruht auf neuesten Erkenntnissen aus dem Flugzeugbau. Der Bootskörper besteht aus Carbon und wiegt 180 Kilogramm. Insgesamt wiegt das Candela Seven mit 1.300 Kilogramm etwa 30 Prozent weniger als ein konventionelles Glasfaserboot. „Wasser ist eine komplexe Oberfläche, weshalb Boote oft unruhig laufen“, sagt Alexander Sifvert, „die größte Herausforderung war, das Boot im Tragflächenmodus stabil zu halten. Das erforderte eine Menge Mathematik, Hydro-Simulationen und Mechanik.“ Candela hat ein „Flight Control“-System entwickelt, das von mehreren Sensoren im Boot Daten wie GPS, Echolot oder Motorleistung erhält und mechanisch die Haupt- und Achter-Tragflächen einstellt. Dank dieses Systems läuft das Boot auch bei größeren Wellen und dynamischen Manövern stabil. Ist man im flachen Wasser unterwegs, werden die Tragflächen mit dem Touchscreen eingeklappt.
Torqeedo arbeitet seit der Prototyp-Phase mit dem schwedischen Start-up zusammen und liefert ein maßgeschneidertes Deep Blue 50i Antriebssystem. „Der Deep Blue ist extrem leise und kann mit Meerwasser gekühlt werden, da die Kühlschäuche aus Edelstahl bestehen“, erklärt Alexander Sifvert. Der Elektromotor des Candela Seven hat ein schlankes Getriebegehäuse bekommen und kann beim Start ein extrem hohes Drehmoment entwickeln.
„Wir versuchen immer, unsere Technologie den Bedürfnissen unserer Kunden und Partner anzupassen“, sagt Plieninger. „Für Candela Seven haben wir unsere Systeme geöffnet.“ Elektromobilität erfordert hohe Software-Kompetenz: Bei Torqeedo nimmt Coding mehr als 50 Prozent der Entwicklungszeit ein. Aber das Elektro-Tragflächenboot war eine besondere Herausforderung. „Unser Deep Blue Motor musste mit dem Flight Control-System kommunizieren“, erklärt Plieninger. „Dafür mussten wir unsere Protokolle anpassen und sehr eng mit den Candela Ingenieuren zusammenarbeiten.“
Torqeedo liefert für das Candela Seven ein maßgeschneidertes Deep Blue 50i Antriebssystem mit Deep Blue Lithium-Batterie.
Anders gesagt: Das Candela Seven läuft nur so ruhig und leise, weil die klugen Maschinen im Hintergrund miteinander flüstern.
Noch ist das Candela Seven mit 245.000 Euro im oberen Marktsegment angesiedelt. Andererseits sind die Kilometerkosten 95 Prozent geringer als bei einem Benziner. Und wie bei allen Booten mit Torqeedo Motor reduzieren sich die Wartungs- und Gesamtbetriebskosten erheblich. „Wenn wir wirklich die Welt verändern wollen, müssen wir den Massenmarkt erreichen“, sagt Alexander Sifvert. 2020 will man die Produktion vervierfachen und, so Hasselskog, durch Automatisierung und gesteigerten Absatz die Preise reduzieren. Auch bei Torqeedo sieht man enormes Potenzial für die Kombination aus Tragflächen und Elektromobilität– zum Beispiel für Passagierfähren oder Rettungsboote, die durch die ruhige Fahrt den Patienten schützen.
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Zu Besuch beim Bootsbauer: So wird das Candela Seven mit Torqeedo Deep Blue 50i hergestellt.
„Wir haben gemeinsam mit Candela sehr viel gelernt und arbeiten bereits an weiteren Tragflächen-Projekten“, sagt Plieninger. So ist das bei Start-ups. Erst entwickelt man eine neue Technologie. Und dann skaliert man. Und wenn alles läuft wie geplant und erträumt, ist die Welt dann ein bisschen besser.
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