Torqeedo Ralf
Torqeedo Ralf
Torqeedo Ralf

Seit 2012 leitet Dr. Ralf Plieninger die technischen und operativen Bereiche von Torqeedo. Seine große Erfahrung in der Marineindustrie und in der Zusammenarbeit mit Kunden, um emissionsfreie Antriebe für ihre Anwendungen zu entwickeln, ist unschätzbar wertvoll für das Unternehmen und das Produktportfolio. Im Interview spricht er über die Entwicklung von klimafreundlichen Bootsantrieben – und darüber, wie ein standardisierter, systembasierter Ansatz zum zuverlässigsten, flexibelsten und skalierbarsten elektrischen Antriebssystem führte, das heute auf dem Markt verfügbar ist.

Torqeedo entwickelt klimafreundliche Elektromobilitätssysteme für Segelyachten, Boote und Fähren. Warum ist es wichtig, dass die Schifffahrt nachhaltiger wird?

Die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass der Klimawandel real ist, dass er sich beschleunigt und dass es für die Gesundheit unseres Planeten und unsere Lebensweise dringend erforderlich ist, dass wir Wege finden, ihn zu bekämpfen. Die Klimaauswirkungen des Bootfahrens sind zwar geringer als die des Flug- oder Straßenverkehrs, aber sie sind auch nicht unbedeutend – und pro Fahrzeug viel höher. Selbst wenn ein Elektroboot mit Strom aus einem Kohlekraftwerk betrieben wird, ist sein CO2-Abdruck immer noch mindestens 30 Prozent kleiner als der eines Bootes mit einem vergleichbaren Verbrennungsmotor. Schließt das Stromnetz erneuerbare Energien ein, wie es heute fast überall der Fall ist, wird der CO2-Ausstoß noch niedriger.

Torqeedo ist sehr bekannt im Bereich Freizeitboote, aber unsere Deep Blue und Cruise Antriebssysteme werden häufig auch in Arbeitsbooten, Wassertaxis und Passagierfähren eingesetzt. Da diese Boote täglich und dann auch noch den ganzen Tag lang genutzt werden, vervielfacht sich der positive Klimaeffekt der Elektromobilität. Das hilft zum Beispiel bei der Verringerung der lokalen Luftverschmutzung in Städten. Ein typischer Benzinaußenborder mit 80 PS stößt die gleiche Menge Stick- und Schwefeloxide aus wie 350 Autos, die auf der Autobahn fahren. Ein elektrisches Wassertaxi verursacht bei der Nutzung keinerlei lokale Emissionen. Dadurch, dass es immer mehr Vorschriften zum Schutz der Luftqualität und des Klimas gibt, müssen Schiffsmotoren entweder sauberer oder stärker reguliert werden. Das geschieht bereits in Städten rund um die Welt, zum Beispiel in Amsterdam und Paris, die gleichzeitig den Autoverkehr in ihren Innenstädten reduzieren, weil die Luftqualität so schlecht ist. Unser Mutterunternehmen DEUTZ nutzt die Torqeedo Technologie zur Elektrifizierung von Arbeitsmaschinen und bringt so die Emissionsvorteile auch an Land.

Umweltfreundliche Innovationen dank Torqeedo Deep Blue Elektromotoren: Der Sun Concept CAT 12 kann als emissionsfreier Cruiser oder als 45-Personen-Fähre konfiguriert werden. Credit: Sun Concept

Es ist spannend, dass Torqeedo Technologie auch bei Landwirtschafts- und Baumaschinen eingesetzt wird. Gibt es viele Kooperationen zwischen Unternehmen, um die Verbreitung von Elektromobilität in unterschiedlichen Industrien zu erhöhen?

Einer der faszinierendsten Aspekte für mich als Techniker im Bereich der Elektromobilität ist mitzuerleben, wie sich das gesamte Ökosystem entwickelt: von den Batterien über Ladelösungen bis hin zum Recycling und zur Wiederverwertung. Innovationen kommen aus vielen Industrien und Ländern. Es ist eines der dynamischsten Arbeitsfelder, in denen man heute arbeiten kann.

Viele technologische Entwicklungen aus größeren Anwendungsfeldern in anderen Industrien können wir auch im Marinebereich einsetzen – und das versuchen wir bei Torqeedo, wo immer es möglich ist. Ein sehr gutes Beispiel ist unsere Batteriepartnerschaft mit BMW. Allerdings gibt es wesentliche Unterschiede zwischen der Mobilität an Land und der auf dem Wasser, weshalb die Integration von Technologien aus anderen Industrien oft immer noch große Investitionen in die Entwicklung erfordert. Die Lithiumbatterien von BMW werden nach den höchsten Sicherheitsstandards entwickelt – von den internen Sicherheitsmechanismen jeder einzelnen Zelle bis hin zu einem funktional sicher entwickelten Batteriemanagementsystem. Die in der neuesten Generation der i3 Batterie verwendete Zelltechnologie ermöglicht eine sehr hohe Energiedichte auf Batterieebene: Spitzentechnologie auf dem gleichen Niveau wie bei Tesla, aber mit einer deutlich längeren Lebensdauer dank der Verwendung prismatischer Zellen und einer guten Kühlmöglichkeit.

Doch die Batterie und ihre Schnittstellen wurden ausschließlich für den Einsatz im BMW i3 Modell konzipiert. Deshalb brachte die Integration in ein modulares Antriebs- und Energiemanagementsystem wie Deep Blue schon einige Herausforderungen mit sich: etwa die Handhabung der komplexen State Machine, die Parallelschaltung in größeren Batteriebänken, die Anpassung und der Umgang mit automobilbasierten Fehlerreaktionsmechanismen und nicht zuletzt die Entwicklung eines neuen Kühlsystems für die aktive Kühlung der Batterie, die normalerweise den Kältemittelkreislauf der Klimaanlage im Fahrzeug nutzt. Aber durch die sehr gute Zusammenarbeit mit dem BMW Team konnten wir all diese Herausforderungen meistern – und ich denke, dass auch die Ingenieure bei BMW etwas Neues über „ihre“ Batterie gelernt haben, als wir sie in ein anderes System in einer anderen Umgebung integriert haben.

Energie für eine neue Zeit: Die Lithiumbatterien von BMW werden für den Einsatz auf dem Wasser modifiziert und in die elektrischen Antriebssysteme von Torqeedo integriert.

Sie haben die Produktentwicklungsstrategie für Torqeedo definiert. Was wollen Sie mit den leistungsstarken Elektroantrieben der Deep Blue Serie erreichen?

Das Deep Blue System basiert auf der Idee einer Plattform: Wir haben ein Steuerungs- und Energiemanagementsystem entwickelt, das eine Vielzahl von Antrieben, Batterien und anderen Komponenten unterstützt. Mit dieser Hard- und Software-Plattform können wir nun viele verschiedene Komponenten integrieren und ganz unterschiedliche Anwendungsfälle unterstützen. Die bewährten standardisierten Komponenten bilden ein skalierbares System – vom Einzelantrieb bis hin zu hochkomplexen Antriebs- und Energiemanagementsystemen für Mehrrumpfboote ist alles möglich, und man kann dabei sogar mehrere Energiequellen integrieren.

Noch vor zehn Jahren war ein 100-kW-Elektromotor für Boote fast Science-Fiction: Wie ist der Deep Blue 100 entstanden?

Wenn man den Markt betrachtet, war von Anfang an klar, dass die volumenstärksten Segmente – die man als wachsendes Industrieunternehmen bedienen möchte – in den höheren Leistungsklassen liegen. Weil Batterien jedoch eine beschränkte Energiedichte haben, hatten batterieelektrische Antriebssysteme früher nicht immer genug Energie, um eine hohe PS-Leistung über eine lange Strecke zu bringen. Mit der Verbesserung der Batterietechnik hat Torqeedo die maximale Leistung seiner Antriebsstränge kontinuierlich gesteigert. Der Start in die 400-V-DC-Ära mit der Einführung des Deep Blue 50 kW im Jahr 2012 war ein wichtiger Meilenstein. Drei Batteriegenerationen später waren wir der Meinung, dass wir ausreichend Reichweite und Laufzeit erreichen können, um 100-kW-Bordsysteme als Teil der Deep Blue Produktlinie anzubieten.

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Das K-625 der Kaiser Bootsmanufaktur mit Deep Blue 100i ist eines der ersten Speedboote, das zu 100 Prozent elektrisch fährt.

Wollten Sie persönlich auch einen stärkeren Motor?

Sicher, es macht Spaß, schnell zu fahren. Und unsere Marktforschung hat gezeigt, dass unseren Wassersportkunden an den Binnenseen eine höhere Spitzengeschwindigkeit gefallen würde. Aufgrund der größeren Energiedichte unserer Batterien sind wir heute in der Lage, diese Geschwindigkeiten mit einer angemessenen Reichweite zu kombinieren. Für unser Geschäftsmodell und den Nachhaltigkeitsaspekt ist aber noch wichtiger, dass wir jetzt größere kommerzielle Arbeitsboote elektrisch antreiben können. Größer, schneller, weiter ist nicht das Ziel an sich – wohl aber die Erschließung zusätzlicher Anwendungsfelder für die Elektromobilität auf dem Wasser.

Mit welchen Herausforderungen sahen sich die Ingenieursteams konfrontiert?

Die größte Herausforderung bestand darin, das hohe Maß an Sicherheit und Überprüfbarkeit zu erreichen, das man von einem Produkt erwartet, auf das man sich verlassen muss – vor allem auf dem Wasser. Deep Blue war ein völlig neues Unterfangen: Nicht so sehr wegen des höheren Leistungs- und Spannungsniveaus, sondern wegen des hohen Maßes an Zuverlässigkeit und Flexibilität, das wir anbieten wollten.

Es ist besonders aufwendig, ein komplettes System zu entwickeln: Dabei muss man mögliche Wechselwirkungen zwischen den Komponenten bedenken, eine übergreifende Betriebs- und Fehlermanagementstrategie konzipieren und umsetzen und schließlich die Funktionalität und die Sicherheit in verschiedenen Systemkonfigurationen und mit unterschiedlichen Aufbauten überprüfen. Es ist kein großer Aufwand, eine Batterie und einen Elektromotor mit einer elektronischen Steuereinheit zu verbinden. Eine abgestimmte Leistungsbegrenzungsstrategie, basierend auf den individuellen Temperaturmessungen von Motor, Elektronik, Batterie und so weiter, umzusetzen, ist dagegen sehr aufwendig, um nur ein Beispiel zu nennen. Diese Arbeit lohnt sich aber, denn eine sinnvolle Leistungsbegrenzung erlaubt dem System, auch in kritischen Temperatursituationen weiterzuarbeiten, statt einfach abzuschalten.

Wenn man so hohe Ziele für seine Produkte setzt, bedeutet das natürlich auch, dass man manchmal vor riesigen Herausforderungen steht. Aber dank des Spirits im gesamten Deep Blue Team bei Torqeedo konnten wir bisher alle Hindernisse bewältigen – und gemeinsam den einzigen vollintegrierten Hochvolt-Bootsantriebsstrang bauen, der heute auf dem Markt erhältlich ist.

Ralf Plieninger im Torqeedo Labor: Nach 15 Jahren und 100.000 Motoren liegt der Schwerpunkt von Torqeedo immer noch auf dem Bau kompletter, integrierter Systeme.

Wie funktionieren Research and Development und die Produktentwicklung bei Torqeedo?

Bei Torqeedo arbeiten alle Teams eng zusammen, um aufkommende Probleme transparent und schnell zu lösen. Natürlich mussten wir während des Wachstums des Unternehmens bestimmte Prozesse und Kontrollen einführen, aber das Produktteam kümmert sich nach wie vor um den gesamten Entwicklungsprozess, von der Konzeption bis zur industriellen Fertigung. Bei Torqeedo arbeitet derselbe Ingenieur am Konzept und am mechanischen Design, er wählt Materialien und Fertigungstechnologien aus, bestellt Musterteile, kommuniziert mit Lieferanten, kümmert sich um den Bau und das Testen von Prototypen und um die Dokumentation – und natürlich nutzt er das Produkt ausgiebig während des gesamten Entwicklungsprozesses. Unsere Ingenieure haben also nicht nur eine ganzheitliche Sicht auf die Produkte, sondern auch ein starkes Gefühl der Eigenverantwortung, weil sie ihre Ausbildung, ihre Erfahrung im Bootsbereich und ihr produktspezifisches Wissen einsetzen, um diese revolutionären emissionsfreien Mobilitätsprodukte zu bauen. Wir stellen unseren Ingenieuren die notwendigen Tools, zum Beispiel für schnelles Prototyping, zur Verfügung, und wir haben ein umfangreiches Prüf- und Testlabor aufgebaut. All das verkürzt die Entwicklungszeit und erlaubt uns, die Produkte gründlich zu testen. Aber nur eine sehr gute Komponente zu bauen, reicht nicht aus, um wirklich etwas zu bewirken.

Warum?

Die Integration ist mit Abstand der kritischste Punkt, wenn es darum geht, zuverlässige Antriebssysteme auf den Markt zu bringen – und die Bedingungen auf dem Wasser bringen viele Herausforderungen und Vorschriften mit sich, die erfüllt werden müssen. Nach 15 Jahren und 100.000 Motoren haben wir viel gesehen. Wir nutzen diese Erfahrung, um die Antriebssysteme noch zuverlässiger zu machen. Am Ende des Tages müssen sie einen sicher nach Hause bringen. Natürlich finden wir auch nicht immer sofort die perfekte Lösung, aber unsere Erfahrung und das Know-how, das wir gesammelt haben, sind in der Branche einzigartig. Dieses institutionelle Wissen unterscheidet uns von vielen anderen Anbietern, die Elektromotoren und Batterien von der Stange zukaufen oder einfach Lösungen aus der Automobilwelt kopieren und auf das Wasser übertragen. Am Anfang mögen zwar alle funktionieren, aber wir glauben, dass wir viel mehr potenzielle Probleme antizipieren und vermeiden als unsere Konkurrenten – und das bessere Servicenetz haben. Gründliche Konstruktions- und Fehlervermeidungsverfahren sind umso wichtiger, wenn es um Hochspannungssysteme geht. Obwohl wir auch auf der Komponentenebene immer vorne mit dabei sein wollen, bleibt es das Hauptgeschäft von Torqeedo, sichere, zuverlässige, normgerechte und benutzerfreundliche Komplettsysteme zu liefern.

Welche technologischen Entwicklungen begeistern Sie im Moment am meisten?

Die sehr dynamischen Entwicklungen in der Batterietechnologie und die verschiedenen Aspekte der Wasserstoffnutzung in Mobilitätsanwendungen.

Warum wird Wasserstoff eine wichtige Rolle für die Elektromobilität auf dem Wasser spielen?

Die verfügbare Batteriekapazität wird bis auf Weiteres eine Hürde für alle Anwendungen bleiben, die auf eine große Reichweite oder auf eine hohe Leistung abzielen. Deshalb ist jede Methode willkommen, die durch eine kontinuierliche Aufladung die Reichweite erhöht. Solar- und Windkraft sind relativ kleine Energiequellen, es sei denn, man optimiert das gesamte Bootsdesign genau dafür. Deshalb ist ein Dieselgenerator derzeit die häufigste und leistungsfähigste Ladeoption für unterwegs, leider werden dabei die erneuerbaren Energien nicht genutzt. Hydrogeneration funktioniert nur bei Segelbooten, und das Boot muss recht schnell fahren, um nützliche Energiemengen zu gewinnen. Deshalb unternehmen heute nur sehr wenige Menschen eine Fahrt über das offene Meer, ohne einen Dieselgenerator zumindest als Notstromaggregat an Bord zu haben – falls man eine längere Strecke mit Motor fahren oder eine Schlechtwetterperiode überbrücken muss.

In Zukunft könnten erneuerbare, wasserstoffbasierte Energiequellen wie Brennstoffzellen Dieselaggregate ersetzen und die hohe Energiedichte und die schnelleren Betankungsmöglichkeiten von Wasserstoff für Elektroboote nutzbar machen. Wenn die Preise erst mal auf ein erschwingliches Niveau gesunken sind, wird die erneuerbare Produktion von Wasserstoff perfektioniert und eine Tankstelleninfrastruktur aufgebaut werden. Diese Faktoren stellen derzeit ein großes Hindernis für jedes Boot dar, das auf einen wasserstoffbasierten Range-Extender setzt. Aber der Tag, an dem wir klimaschädliche Stromaggregate komplett vermeiden können, wird ein großer Tag sein.

Hochspannungskarriere

Unter der Leitung von Dr. Ralf Plieninger entwickelte sich Torqeedo seit 2012 zum absoluten technologischen Marktführer im Bereich Elektromobilität auf dem Wasser. Mit seinem reichen Erfahrungsschatz, basierend auf der Leitung von Entwicklungs- und Fertigungsprozessen, ist er für alle technischen Bereiche bei Torqeedo verantwortlich, vom Produktmanagement über Research and Development bis hin zur Qualitätskontrolle und zur Produktion. Dr. Plieninger obliegt auch die Optimierung der betrieblichen Strukturen und Prozesse.

Zuvor hatte Dr. Plieninger mehrere leitende Managementpositionen inne. Bei Q Cells, einem der weltweit führenden Unternehmen in der Solarindustrie, leitete er zentrale Unternehmensbereiche in verschiedenen Funktionen, etwa Engineering und Planning & Supply Chain Management. Außerdem arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen bei Infineon Technologies, Europas zweitgrößtem Halbleiterhersteller.

Dr. Plieninger studierte Physik an der Universität Stuttgart und promovierte am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung.

 

 


 

Mehr Information:

Hochauflösende Fotos finden Sie in der:   › Torqeedo Dropbox

Den Produktkatalog 2020 finden Sie hier: › Katalog 2020

 

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17 SEPTEMBER 2020 • 7 MIN LESEZEIT
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