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Wie visionäre Segelsportler in einem traditionsreichen Hamburger Regattaklub ihre Coach-Boote mit Torqeedo Elektromotoren ausstatten – und dabei eine E-Mobilitätswende in einer der größten Städte Deutschlands anstoßen.

Im Herbst 2020 sieht man Sven Jürgensen nur selten ohne Telefon auf dem Bootssteg des Norddeutschen Regatta Vereins (NRV). Es gibt ja auch viel zu tun. Der traditionsreiche Hamburger Segelklub veranstaltet Anfang Oktober den „Helga Cup“, die eigentlich größte Frauenregatta der Welt. Auf Grund der Covid-19-Pandemie kämpfen in diesem Jahr nur 50 statt knapp 90 Teams in der J/70-Klasse um Punkte und Pokale – auch wegen der verschärften Corona-Schutzmaßnahmen eine Herausforderung. Gleichzeitig hat Jürgensen kürzlich die Initiative „E-Mobilität auf der Alster“ initiiert, die Verbrennungsmotoren bis 2030 von dem See im Herzen Hamburgs verbannen soll. Eine Revolution. Aber der 57-jährige Jürgensen wirkt nicht gestresst. Erstens mag er es, wenn die Dinge in Bewegung sind. Zweitens ist ein Ort der Ruhe hier nie fern.

Sven Jürgensen steigt in ein orange-graues RIB im NRV-Yachthafen am Nordufer der Außenalster, löst die Leine und schiebt den Gashebel nach vorn: Fast lautlos gleitet die Pischel 1 über das Wasser. „Die Alster ist ein einzigartiger Ort“, sagt Jürgensen, „man ist mitten in der Stadt – aber Lärm und Menschenmassen sind unendlich weit weg.“ Nach einem hektischen Tag fährt er, sooft es geht, mit dem neuen Elektroboot hinaus, genießt „die Lichtstimmung auf dem Wasser“, den Kontrast zwischen moderner Architektur und Natur, denkt sich: „So müsste es immer sein.“ Als professioneller Segelfotograf weiß Jürgensen, wie laut es auf dem Wasser werden kann. „Segeln hat ein nachhaltiges Image, aber wenn bei einer Großregatta dann 100 Motorboote neben 100 Segeljollen knattern, fragt man sich schon, ob das nicht anders geht.“ Er begann schon vor einiger Zeit zu recherchieren.

Sven Jürgensen vom NRV stellt auf einer umweltfreundlichen Tour das Projekt „E-Mobilität auf der Alster“ vor.

Vom Privatprojekt zum Gesetz

Der NRV hat heute vier Arbeits- und Coach-Boote in Betrieb. Zwei davon laufen bereits mit Torqeedo Cruise Motoren. „Mehr als genug Power und Beschleunigung“, sagt Jürgensen, der auch viel auf der Nordsee und dem Mittelmeer unterwegs ist: „Wir haben hier in der Stadt ja keine Offshore-Bedingungen, keine Dünung.“ Die Elektroboote wurden durch Privatspenden und Fördergelder der Stadt für ein Segel-Inklusionsprojekt finanziert. Drei Monate nach Inbetriebnahme ist das Feedback positiv: Die Segelsportler freuen sich, dass die Anweisungen der Trainer auf dem Wasser nicht mehr im Motorenlärm untergehen. „Auch das Geschleppe von Benzinkanistern am Steg entfällt“, sagt Jürgensen. Außerdem könnten die 10-kW-Elektroboote auch von Nachwuchsseglern bedient werden, „von denen nicht jeder einen Sportbootführerschein besitzt.“ Plug-and-play, sozusagen.

Aus dem privaten Umweltschutzprojekt ist etwas viel Größeres geworden: Denn Sven Jürgensen wollte nicht nur die Flotte des Klubs elektrifizieren, sondern den Alltag auf der Alster verändern. Er sprach mit Vertretern der 80 Segelklubs an der Alster, mit der Wasserpolizei, der Stadtverwaltung, lokalen Energieunternehmen und Verkehrsbetrieben. Wie entstehen nachhaltige und effiziente Veränderungen? Nicht unbedingt durch Entscheidungen von oben, sondern indem alle Stakeholder an einen Tisch geholt werden: Ein erstes Konzeptpapier entstand. Als die Lokalzeitung „Hamburger Morgenpost“ davon erfuhr, brachte sie eine Titelseite über die „Grüne Alster“, die enorm viel Resonanz auslöste. Viele Leser empfanden die Vorstellung eines Stadtsees ohne Feinstaub und Motorenlärm als sehr angenehm. Ein Prozess kam in Gang, der nicht mehr aufzuhalten war. Wenn ein Traum in die Welt kommt, müssen Taten folgen.

Im Sommer 2020 wurde das Projekt „E-Mobilität auf der Alster“ als Teil des Hamburger Klimaplans vorgestellt. Bis 2030 sollen keine Boote und Schiffe mit Verbrennungsmotor mehr auf der Alster unterwegs sein: keine Arbeits- und Coach-Boote, keine Fahrgastschiffe, nicht einmal die Schnellboote der Rettungskräfte. „Eine rein elektrische Bootsflotte auf der Alster ist ein Gewinn für Hamburg, das Klima und den Wassersport“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan bei der Projektpräsentation. In einer Konzeptstudie soll nun festgestellt werden, welche Schiffe unter welchen Voraussetzungen umgerüstet werden und welche Fördermittel dafür eingesetzt werden können. „Ganz ehrlich: Wir hätten uns ein ambitionierteres Timing gewünscht“, sagt Jürgensen, der nun darauf hofft, dass Segelklubs, die 2021 auf elektrische Antriebe umstellen, mehr Geld erhalten als Vereine, die erst 2029 den Schritt machen. Die grüne Mobilitätswende in der Stadt, auch das zeigt das Projekt, hängt von staatlichen Förderprogrammen und den richtigen Anreizen ab.

Der Hafen des Norddeutschen Regatta Vereins in Hamburg-Uhlenhorst. Bildrechte: Sven Jürgensen

Ein See als Sportplatz und Straßenkreuzung

Die Alster ist das grüne Herz Hamburgs: Ein 1,8 Quadratkilometer großes Gewässer mitten in der Stadt, auf dem die Menschen in der Mittagspause segeln gehen, Touristen von Tretbooten aus das Panorama auf hanseatische Villen und die Innenstadt genießen – und die Locals mit traditionellen Stadtfähren oder Kanus vom Osten in den Westen der Stadt pendeln. Aber nur etwa zehn Prozent der 230 lizenzierten Schiffe auf der Alster verfügen über einen Elektroantrieb. Und in der Hafenstadt Hamburg ist Schifffahrt ein wesentlicher Verursacher der lokalen Luftverschmutzung.

Wenn man mit jemandem wie Sven Jürgensen unterwegs ist, merkt man, wie sehr die Alster auch ein sozialer Ort ist. Immer wieder bremst er die Pischel 1 aus rasanter Fahrt ab, hält einen kurzen Small Talk mit einem Segler, grüßt den Kapitän eines Alsterschiffs, gibt zwei SUP-Paddlerinnen, die am NRV-Steg festmachen, um mittagzuessen, augenzwinkernd ein paar Tipps. Dann gibt Jürgensen wieder Gas, und die Fahrt geht weiter. „Die Hoffnung ist schon, dass der NRV hier ein Stück weit ein Vorbild ist.“

Das RIB Pischel 1 mit einem 10 kW Torqeedo Cruise Motor wird im NRV als Coach-Boot eingesetzt.

Der Norddeutsche Regatta Verein wurde im Jahr 1868 in Hamburg gegründet – der Segelsport war erst wenige Jahre zuvor aus England in die Hansestadt importiert worden. Wenn man nach einer Tour auf der Alster aus dem Salon aufs Wasser blickt, spürt man die ehrwürdige Geschichte des Vereins. An den Wänden hängen Ölgemälde von alten Segelschiffen. In Vitrinen stehen riesige, auf Hochglanz polierte Silberpokale, die an die vielen sportlichen Erfolge erinnern, an legendäre Regatten und Olympiamedaillen – erst im Februar 2020 gewann NRV-Lasersegler Philipp Buhl vor Australien den Weltmeistertitel in der olympischen Einhand-Jollen-Klasse. Auf der Website wird die Anekdote erzählt, dass NRV-Segler Anfang des 20. Jahrhunderts mal Kaiser Wilhelm II. „versehentlich“ bei einer Regatta besiegten, und auch, dass die englische Königin Elizabeth II. einen Pokal für eine Regatta stiftete. Aber der NRV blickt nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft: Gerade wird ein barrierefreier Inklusionshafen gebaut, der den Segelsport auch für Menschen mit Beeinträchtigungen öffnen soll. Die ersten Segelboote, die mit einem Spezialstuhl für den Skipper ausgestattet sind, stehen bereits auf dem Vereinsgelände. Der NRV hat kürzlich Frauensegeln in Deutschland populär gemacht, vielleicht gelingt das auch mit Themen wie Nachhaltigkeit und Inklusion, die im 21. Jahrhundert wichtiger sind denn je.

In Hamburg dröhnen die Sirenen von Kreuzfahrtschiffen und Containerriesen durch die Stadt, die Elbfähren sind ganz selbstverständlich Teil des ÖPNV. Hier verstehen viele Menschen intuitiv das Potenzial von Elektromobilität auf dem Wasser für Klima- und Umweltschutz – und eine verbesserte Lebensqualität in der Stadt. „Aktuell konzentrieren wir beim NRV uns auf den Wassersport auf der Alster, dem schönsten Segelstadion der Welt“, sagt Jürgensen. Aber er sieht auch die Möglichkeiten, die leistungsstarke 100-kW-Elektroantriebe wie das Torqeedo Deep Blue System für Wasserpolizei oder Passagierfähren haben. „Als die Eisenbahn erfunden wurde, kam auch nicht als Erstes der ICE um die Ecke“, sagt Jürgensen, „wir glauben fest daran, dass es immer weitere Einsatzbereiche für Elektromobilität geben wird.“

Nach 50 Minuten steuert Jürgensen die Pischel 1 wieder in den NRV-Hafen und erzählt dabei, dass er immer wieder gefragt werde, ob die Vermeidung von CO2-Emissionen auf der Alster wirklich eine Rolle spiele, wenn in China weiter Kohlekraftwerke gebaut werden. „Aber so denken wir hier nicht“, sagt Jürgensen, „die Frage ist doch, ob man abwartet, bis der Staat durch Verbote durchgreifen muss, oder ob man das Problem proaktiv angeht und die Zukunft mitgestaltet.“

Dann legt er an, macht die Leine fest und guckt auf die Steuerungskonsole: „Wahnsinn, die Batterie steht ja immer noch auf 96 Prozent.“

Mehr Information:

Hochauflösende Fotos finden Sie in der:   › Torqeedo Dropbox

Den Produktkatalog 2020 finden Sie hier: › Katalog 2020

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1 OKTOBER 2020 • 8 MIN LESEZEIT
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