Die Tourboote, die auf den Berliner Kanälen und Flüssen fahren, sind nicht nur bei Berlinern und Touristen beliebt – sondern leider auch laut und schädlich für das Klima und die menschliche Gesundheit. Nun hat Torqeedo das erste Berliner Passagierboot mit einem Deep Blue Elektromotor ausgerüstet – und plötzlich hört man mitten in der Großstadt das Wasser plätschern. Eine Testfahrt.
Die Oranje Nassau ist auf den ersten Blick eines von vielen Dutzend Tourbooten, die auf den Berliner Kanälen unterwegs sind: flach, knapp 20 Meter lang, elegante Form. Ein schönes Boot, keine Frage. Aber sie fällt vor allem deshalb auf, weil sie im hektischen Berliner Stadtalltag eben gar nicht auffällt. Anders als die anderen Passagierboote hat sie keinen knatternden Dieselmotor und stößt keine dunklen Rauchschwaden aus, sondern gleitet lautlos zwischen Museumsinsel, Kanzleramt und Tiergarten hin und her, damit Besucherinnen und Besucher aus aller Welt Berlin von seiner besten Seite erleben können – vom Wasser aus.
In der deutschen Hauptstadt gibt es elf schiffbare Wasserstraßen mit insgesamt 200 Kilometer Länge, darunter die Spree, Havel und der weltberühmte Landwehrkanal, der sich durch die Hipster-Viertel zieht. Als der Berliner Senat vor einigen Jahren messen ließ, wie viel Feinstaub die Binnenschifffahrt in Berlin erzeugt, wurde am innerstädtischen Spree-Ufer ein bis zu 15-mal höherer Wert für Schadstoffpartikel gemessen, als rechtlich zulässig ist – laut WHO eine gravierende Belastung für die menschliche Gesundheit, vor allem Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden von den ultrafeinen Schadstoffpartikeln verursacht. Laut der Berliner Senatsverwaltung verursacht die Schifffahrt rund zehn Prozent der Rußpartikel-Emissionen im Verkehr – so viel wie 120.000 Autos.
Und genau hier kommt die Oranje Nassau ins Spiel, der zurückhaltende Gamechanger. Das Herzstück der Revolution, ein Torqeedo Deep Blue Elektromotor, arbeitet lautlos unter dem Deck des Grachtenboots. Und genau in dieser Ruhe liegt die Kraft.
An einem Frühjahrsmorgen legt die Oranje Nassau um kurz vor neun Uhr an der Bootshaltestelle „Schlossbrücke“ an, direkt zwischen Museumsinsel und Stadtschloss. Man hört, dass man nichts hört. Und man riecht, dass man nichts riecht. Alles ist still: das Boot, die Spree und auch die Stadt. Noch sind kaum Touristen und Businessleute auf den Straßen, und sogar die sonst rummelige Museumsinsel ist menschenleer. Nur ein paar Pendlerinnen und Pendler auf E-Bikes und Fahrrädern eilen zur Arbeit, und die gelben Busse der Berliner Verkehrsbetriebe, die ebenfalls immer häufiger elektrisch unterwegs sind, düsen in Richtung Brandenburger Tor. Nur ein einzelnes Starkstromkabel im alten Auspuff am Bug verrät aufmerksamen Betrachterinnen und Betrachtern, dass auf der Oranje Nassau ab diesem Jahr ein Elektromotor am Werk ist.
Bootsführerin Stephanie Merkel transportiert an einem Acht-Stunden-Tag Hunderte Passagiere über die Wasserstraßen von Berlin City – und genießt es, dass „mein Kopf abends nicht mehr dröhnt“.
Elektromobilität als Trend
Wie viele globale Metropolen investiert Berlin seit Jahren in Elektromobilität: Die Busse sind leiser und klimafreundlicher geworden, die allseits präsenten Elektroroller, Hybridtaxis und E-Limousinen aus dem Stadtbild kaum mehr wegzudenken. Und im Sommer 2022 werden die ersten 200 Straßenlaternen zu Ladestationen für Elektroautos umgerüstet – bald sollen es bis zu 1.000 sein. Die Ladeinfrastruktur wird Teil des Straßenbildes. Nur auf der Spree, dem eigentlich natürlichsten Verkehrsraum der Stadt, ist die Elektromobilität noch nicht so recht angekommen. „Eine Spreefahrt, die ist dreckig“, schrieb das Magazin „Der Spiegel“ im Sommer 2022. Aber das ändert sich jetzt.
Mit einem satten „Wump“ kommt die Oranje Nassau zum Halten, und André Siebach, der Geschäftsführer der Berliner Wassertaxis, springt mit einem beherzten Satz an Deck. Unter dem Arm hat Siebach ein grünes Schild, auf dem das Piktogramm eines Bootes mit Steckdose zu sehen ist, daneben der Slogan: „Ick fahr elektrisch.“
„Mehr als genug Energie“: Drei Deep Blue Akkus sorgen dafür, dass der Oranje Nassau nie der Saft ausgeht.
Am Bug des Bootes befindet sich eine große Klappe, unter der sich früher der Dieselmotor und die Tanks des Bootes befunden hatten. Klappt man sie heute hoch, sieht man nur drei große schwarze Akkus mit insgesamt 120 kWh Speicherkapazität. „Mehr als genug Energie, um sich acht Stunden in Marschfahrt die Spree auf- und abwärtszubewegen“, wie Axel Büchling es formuliert.
Büchling ist Project Sales Manager bei Torqeedo, verfügt über fast 25 Jahre Erfahrung in der Schiffselektrifizierung und hat schon viele kleinere Boote in Europa mit elektrischen Antrieben von Torqeedo ausgerüstet – die Oranje Nassau in Berlin aber ist auch für ihn ein besonderes Projekt. „Es gehört eine Menge Vertrauen dazu, ein großes, konventionelles Boot elektrisch auszustatten“, sagt Büchling. „Aber der Markt ist in einem großen Wandel.“
Alles aus einer Hand
Dass gerade die Oranje Nassau als erstes Grachtenboot der Stadt umgerüstet wurde, hat drei Gründe: Einmal geht es um Technik, einmal um Personen, einmal um Prozesse.
Technisch gesehen ist die Oranje Nassau als Grachtenboot ein vergleichsweise leichtes und stromlinienförmiges Tourenboot – und damit geradezu dafür prädestiniert, elektrisch betrieben zu werden.
Der zweite Grund heißt André Siebach. Der geborene Ostberliner ist ein offener Typ, einer, der Chancen und nicht Probleme sieht und den interessiert, was passiert, wenn man Dinge anders macht, als sie immer gemacht wurden. „Mit der Umrüstung unserer ersten drei Berliner Boote haben wir ein Statement abgegeben: Es ist möglich!“, sagt Siebach und freut sich sichtlich. Wenn er der Konkurrenz voraus ist: umso besser!
The „downside“ of the green revolution: Man muss die Leute darauf hinweisen, dass sie merken, wie schön es gerade ist.
Drittens: der Prozess: Geschäftsführer Siebach ist sich schon lange sicher, dass die „Elektromobilität die Zukunft für unsere Branche ist“: „Unsere Boote fahren ja relativ kurze Strecken und brauchen deshalb recht wenig Antriebsenergie.“ Das bedeutet auch: Sie eignen sich perfekt für elektrische Antriebssysteme. Lange Zeit, erzählt Siebach, gab es jedoch keinen Anbieter, der Motoren, Batterien und ein Energiemanagementsystem für Hochvoltanwendungen liefern konnte. „Jeder Umbau wäre eine Improvisation gewesen, mit entsprechendem Risiko.“ Das Angebot von Torqeedo, alle Systemkomponenten aus einer Hand zu liefern, und die Erfahrung des Weltmarktführers für Elektromobilität auf dem Wasser bei Projekten auf der ganzen Welt machten ihm die Entscheidung leicht. „Es war schön, von der ersten Konzeptskizze bis zur Montage mit denselben Leuten zu tun zu haben“, meint Siebach. „Ich hatte von allen wichtigen Ansprechpartnern die Telefonnummer – und konnte sie tatsächlich auch jederzeit erreichen.“
Ein gutes Team: André Siebach, Geschäftsführer der Berliner Wassertaxis, und Torqeedo Project Sales Manager Axel Büchling haben die Elektrifizierung der ersten Kanalboote in Berlin gemeinsam vorangetrieben.
Das neue Antriebssystem hat nicht nur Vorteile für das Klima und die Geschäftsbilanz der Reederei, sondern verbessert auch das Leben für die Crew, die Passagiere und die Anwohnerinnen und Anwohner. „Früher hat man sich bei der Arbeit schon ordentlich schmutzig gemacht“, sagt Stephanie Merkel, die Bootsführerin. „Allein wenn man morgens den Motor kontrollieren musste, war das eine dreckige Angelegenheit.“ Heute steht Merkel in einem knallroten Sweater mit kleinen dunkelroten Ankern und blauen Leggins an Bord. Und erzählt, dass ihr abends, anders als früher, nicht mehr der Kopf dröhnt. Wenn sie den grauen Geschwindigkeitsregler von Torqeedo sanft nach vorne drückt, spürt man die Beschleunigung sofort. Aber der Motor sirrt leise weiter. Das gefällt auch den Passagieren.
„An Bord konnte man echt gut chillen“, sagt Hasanin Ghaidan aus dem schwedischen Lund, der mit seiner Familie zu Besuch in Berlin ist. „Ich habe vor der Fahrt das Schild mit der Aufschrift ‚elektrisch‘ gesehen und gedacht: ‚Wow, das habe ich noch nie gesehen, das ist bestimmt etwas Besonderes.‘“
Auch der Wiener Fotograf Christian Kremser ist nach seiner Fahrt begeistert. „Man merkt den Unterschied absolut“, sagt er. „Die Ruhe ist wunderschön. Und man hört erst, wie störend die alten, lauten Boote eigentlich sind, wenn sie jetzt an einem vorbeifahren. So hat Berlin fast was von Venedig: die Stille, das Dahingleiten!“
Berlin will Vorreiter sein
100 Schiffe und 40 Reederei-Unternehmen sind auf den Berliner Flüssen und Kanälen aktiv, die Branche macht einen Umsatz von 200 Millionen Euro im Jahr in Berlin-Brandenburg und sorgt für Tausende Jobs. Mit innovativen Ideen, so meinte die Bürgermeisterin Franziska Giffey kürzlich, könne man langfristig eine Klimaverbesserung auf den Wasserstraßen erreichen: „Berlin will hier Vorreiter sein.“ Schon 2018 legte das Berliner Abgeordnetenhaus per Parlamentsbeschluss fest, den Schiffsbetrieb in der Stadt schadstoffärmer und nachhaltiger zu machen. Seitdem gibt es Fördermittel vom Land Berlin, wenn man Schiffe elektrifiziert oder den Diesel zumindest mit Partikelfiltern nachrüstet.
Und auch die Berliner Handelskammer fordert in einem aktuellen Positionspapier, die „Wasserstraßen besser zu vernetzen und auszubauen“ – auch über die Stadt hinaus. Denn über die urbanen Kanäle kann man von der deutschen Hauptstadt bis zum Atlantik und weit nach Osteuropa hinein reisen. Es geht nicht nur um das erste elektrische Grachtenboot der Stadt, sondern auch um eine Signalwirkung: „Pioniere mit Weitsicht sind wichtig“, sagt Axel Büchling von Torqeedo, „die werden von den Mitbewerbern stark beäugt. Aber wenn der Markt sieht, dass das gut funktioniert und die Vorteile überwiegen, wird sich die Entwicklung beschleunigen. Ich erwarte eigentlich, dass viele Schiffe ziemlich schnell umgerüstet werden.“
Eine Tour der elektrischen Oranje Nassau dauert nicht länger wie vor dem Umbau. Sie lässt die Haltestelle „Schlossbrücke“ Richtung Norden hinter sich, fährt am Lustgarten vor dem Alten Museum vorbei, unter der Eisernen Brücke hindurch, entlang des von David Chipperfield entworfenen strahlend weißen Eingangsbereichs des Neuen Museums und dann raus aus dem schmalen Kupfergraben und rein in die weite, breite Spree.
Doch selbst dort, wo die Brücken über den Fluss breit und wuchtig sind und wo sich im Sommer die Boote auch mal stauen, wirken die Natur und das Wasser plötzlich viel näher als auf anderen Booten. André Siebach ist selbst erstaunt: „Man hört das Wasser, man hört die Wellen, Und plötzlich …“ Siebach hält inne, schaut sich um: „Plötzlich hört man auch die Vögel.“
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