Susanna Kihl ist die Gründerin von Vattenbussen, einer NGO mit Sitz in Stockholm, die sich für nachhaltigen öffentlichen Nahverkehr auf dem Wasser einsetzt und mit der Königlichen Technischen Hochschule kollaboriert. Hier erklärt sie, warum Wasserwege eine Lösung für viele unserer modernen Verkehrsprobleme sein könnten.
Frau Kihl, Sie untersuchen, ob Wasserwege eine mögliche Lösung für den urbanen Verkehrsinfarkt sein können. Inwieweit fühlt es sich anders an, mit dem Boot statt mit dem Auto oder der U-Bahn unterwegs zu sein?
Es ist ruhiger: kein Gehupe, keine Aggressivität. Die Menschen sehen aus dem Fenster oder lesen Zeitung. Es ist recht gemütlich. Aber bei meiner Arbeit für Vattenbussen spielt der Komfort keine große Rolle. Alle Politiker und Unternehmer, die ich treffe, haben ähnliche Bedenken: „Boote sind ja ganz nett, aber viele Leute bekommt man auf ihnen nicht unter, oder?“ Seit zehn Jahren beschäftige mich deshalb hauptsächlich damit, zu zeigen, dass Wasserwege viel Potenzial für den urbanen Massenverkehr bieten.
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Ich habe zwei Kinder, mit denen ich auf einer Insel vor Stockholm lebe. Es gibt nur eine Straße, die uns mit dem Festland verbindet. An dem Tag, an dem mir die Idee kam, die Firma zu gründen, saß ich in meinem Auto und wollte meine Kinder aus dem Kindergarten abholen. Die Straße war wie immer verstopft. Während ich also im Auto darauf wartete, dass sich der Stau endlich auflöst, sah ich das verwaiste Meer neben der Straße. In der Arbeit hatte ich kurz zuvor eine Rede über das Klimaproblem gehört. An diesem Tag dachte ich mir: „So kann ich nicht weitermachen. Es muss eine bessere Möglichkeit geben.“
Also ging es Ihnen darum, komfortabler zu pendeln?
Es geht um sehr viel mehr: Überall auf der Welt werden Städte aus gutem Grund in der Nähe von Wasser gebaut. Wasser wird schon immer für der Transport von Menschen und Gütern genutzt. Irgendwann sind wir an Land gekrochen, haben den Verbrennungsmotor erfunden, Straßen, Tunnel und Brücken gebaut. Aber jetzt haben wir ein riesiges Problem mit Staus und dem Klimawandel. In 30 Jahren werden 70 Prozent der Menschen auf der Erde in Städten leben. Aber weil die Metropolen nur drei Prozent der Erdoberfläche einnehmen, wird das Leben in ihnen gedrängt sein. Wir müssen die vorhandenen Flächen so gut wie möglich nutzen. Nur so können wir Lebensqualität und Mobilität vereinbaren. Wir können nicht einfach inmitten von endlosen Schnellstraßen existieren.
Prototypen für nachhaltige Stadtfähren von Waterway 365, einem Gemeinschaftsprojekt der Königlich Techischen Hochschule und Vattenbussen AB. Credits: Linnea Våglund & Karin Bodin, waterway365.com
Warum sollte der öffentliche Nahverkehr auf dem Wasser umweltfreundlicher sein als Elektrobusse oder Züge?
Geht es um den CO2-Fußabdruck, achten wir nur auf den lokalen Ausstoß eines Transportmittels. Worüber wir nie reden, ist, wie viel Energie verbraucht wird, um die Infrastruktur zu bauen, die diese Fahrzeuge benötigen. Und Wasserwege sind – im Gegensatz zu Straßen und Bahngleisen – oft Teil der natürlichen Umgebung. Man muss also sehr viel weniger Energie aufwenden, um sie für den Transport zu nutzen. Und auch der Unterhalt ist günstiger. Nach einem starken Sturm muss man Straßen teilweise ganz neu bauen – Flüsse und Kanäle sind oft schneller und billiger zu sanieren.
Was sind die größten Hürden, wenn Sie mit Politikern oder Interessengruppen sprechen?
Der größte Irrglaube ist, dass der Wasserverkehr dreckig und teuer ist und dass man so nur eine kleine Zahl von Menschen transportieren kann.
Wie kann man diesen Argumenten begegnen?
Zunächst einmal ist der Wasserverkehr nur dann dreckig, wenn man nicht die richtigen Boote baut. Alte Boote sind dreckig, weil wir uns lange nicht darum gekümmert haben, den Wasserverkehr emissionsfrei zu machen – so wie es bei Autos und Bussen auch war. Wir müssen also neue, emissionsfreie Boote bauen oder die, die wir bereits haben, mit Elektromotoren ausstatten. Und ja, pro Boot ist das teuer, aber wenn man das Gesamtbild betrachtet und die Infrastruktur miteinbezieht, dann könnte der Bootsverkehr sogar günstiger sein als der Transport an Land.
Vor zehn Jahren haben Sie begonnen, sich für mehr Wasserverkehr einzusetzen. Wie haben sich die Einstellungen seitdem verändert?
Der Wasserverkehr ist heute verbreiteter und fortschrittlicher. In den Anfangsjahren haben viele erst mal „nein“ dazu gesagt. Mittlerweile glaube ich, dass die Menschen neugierig darauf sind. Manche Städte wie Bangkok baggern sogar ihre Flüsse aus. Es gibt außerdem mehr Forschung zu den Vorteilen, die der Gebrauch von Wasserwegen haben könnte. Zum Beispiel haben wir in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Verkehrsministerium die Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Wasserstraßen Stockholms mit der durchschnittlichen Geschwindigkeit im innerstädtischen Straßenverkehr während der Rushhour verglichen. Auf dem Wasser kommt man mit 22 Kilometern pro Stunde voran, auf der Straße sind es im Durchschnitt nur zwölf bis 15 Kilometer pro Stunde.
Einige Städte wie Bangkok baggern sogar ihre Flüsse aus. Es wird auch immer mehr über die Vorteile der Nutzung von Wasserstraßen geforscht.
Welche Städte haben bereits Fortschritte darin gemacht, das Wasser für den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen?
New York, Hamburg, Venedig und Brisbane nutzen ihre Wasserwege bereits effektiv, um Menschen zu transportieren. Und viele Städte sind bereits heute recht fortschrittlich, wenn es um den Gütertransport auf dem Wasser geht. Zum Beispiel werden in Paris bereits viele Nahrungsmittel auf diese Weise transportiert. Viele Metropolen haben in dieser Hinsicht großes Potenzial: Solange eine Stadt unter Staus leidet, und es sichere Binnenwasserwege wie Flüsse, Kanäle oder Seen gibt, ist sie definitiv geeignet für den öffentlichen Nahverkehr auf dem Wasser.
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Die Ecocat-Solarfähre mit einem Torqeedo Deep Blue Motor transportiert bis zu 120 Menschen pro Fahrt.
Wie werden sich die Städte verändern, wenn wir die Flüsse und Küsten effizienter nutzen?
In Hamburg gibt es beispielsweise Tausende niedrige Brücken, was die Möglichkeiten einschränkt, sich auf den Kanälen fortzubewegen. Stattdessen könnten wir schwimmende Brücken bauen. Und wenn wir Autos weniger nutzen, verändert sich das Verkehrssystem von selbst. Man könnte von einer Brücke direkt auf ein Boot spazieren, ein Stück mitfahren, aussteigen, und dann weiterlaufen – oder auf ein Leihfahrrad oder einen Leihroller umsteigen. Es ist ein anderer, nachhaltiger Blick auf das System Stadt: Wir brauchen Knotenpunkte, an denen man problemlos zwischen den unterschiedlichen Transportmitteln wie Fähren, Bussen und S-Bahnen hin und her wechselt. So könnten wir Städte nachhaltig zum Besseren verändern – und mehr Parks statt Straßen bauen.
Wie könnten diese Knotenpunkte aussehen? Gibt es neue Möglichkeiten, um die Menschen effizienter auf das Wasser zu bringen als das traditionelle Fährterminal?
Mit alten Bootsfähren dauert das Boarding eine Weile. Aber warum öffnet man nicht die Seiten des Wasserfahrzeugs, wie bei einer S-Bahn? Wenn die Fahrtzeit der wichtigste Faktor ist, dann muss man das so machen. Die Technische Hochschule Chalmers in Göteburg hat genau so ein Modell entworfen. Aktuell ist der Wasserverkehr sehr altmodisch. Das ist auch der Grund, warum wir ihn hauptsächlich für Freizeit- und Urlaubszwecke nutzen, also dann, wenn wir alle Zeit der Welt haben. Aber er könnte sehr viel effizienter sein. Es hat nur noch niemand ausprobiert.
Das Boarding bei Fähren dauert noch ziemlich lange. Eine Lösung könnte darin bestehen, die Seiten des Fahrzeugs zu öffnen, um ein schnelleres Ein- und Aussteigen zu gewährleisten. Credits: svante.fransson@gmail.com
Um den Wasserverkehr effizienter zu machen, muss man auch über Geschwindigkeit sprechen: Wie schlagen sich aktuelle Elektroboote?
Die Entwicklung in der Automobilbranche hat den Weg gebahnt: Die meisten Menschen sehen Elektromobilität als echte Alternative. Jetzt brauchen wir vermehrt Pilotprojekte, die beweisen, wozu diese Technologie im kommerziellen Einsatz auf dem Wasser fähig ist. Deshalb bringe ich Ingenieure mit Stadtplanern und Investoren zusammen. Wie schlägt sich ein batteriebetriebenes Boot in einer starken Strömung oder wenn man es mit Gezeitenhub zu tun hat? Wie wirkt sich Eis auf die Leistung aus? Das sind alles Fragen, die wir gerade untersuchen.
Und wie sieht es mit der Zuverlässigkeit und der Sicherheit der Elektromobilität auf dem Wasser aus?
In Stockholm haben wir im Winter ab und an Tage mit starkem Schneefall und Temperaturen von minus 20 Grad. An den schlimmsten Tagen steht alles still – mit Ausnahme der Boote. Tatsächlich setzt die Stadt dann keine zusätzliche S-Bahnen ein, um die Menschen nach der Arbeit nach Hause zu bringen, sondern mehr Boote. Hier in Stockholm haben wir zwei Boote mit elektrischem Antrieb, die bereits seit vier, fünf Jahren laufen. Wir bekommen also ein immer besseres Bild davon, wie sicher sie sind.
Wie könnte ein nachhaltiger öffentlicher Nahverkehr auf dem Wasser in Zukunft aussehen?
Die Wasserbusse könnten eher klein sein und nur zwölf Sitze haben. Oder wir bauen riesige Boote für den Massenverkehr. Es gibt Fähren, die nur einen Fluss oder ein Hafenbecken durchqueren, und nur wenige Sitze brauchen, weil die Fahrtzeit fünf Minuten beträgt. Wer aber weiter draußen vor der Stadt wohnt, kann auch eine Stunde mit einem Boot unterwegs sein – und hat dann eine bequemere Fahrt als im Bus oder in der S-Bahn, weil er mehr Platz hat. Man könnte auf dem Weg nach Hause einfach bequem den Laptop auf einem Tisch abstellen, hätte Steckdosen und Wi-Fi. Es gibt so viele Möglichkeiten!
ZUR PERSON
Susanna Kihl ist die Gründerin von Vattenbussen, einer NGO mit Sitz in Stockholm, die sich für die Verwirklichung eines nachhaltigen öffentlichen Wassertransports in den Städten einsetzt. Sie ist außerdem Mutter zweier Kinder und weiß, was es bedeutet, im Auto zu sitzen, wenn die Straße verstopft ist
Mehr Informationen:
Hochauflösende Fotos finden Sie in der: › Torqeedo Dropbox
Den Produktkatalog 2020 finden Sie hier: › Katalog 2020
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